In diesem Jahr ist Frankreich das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Brigitte Nölke hat sich durch die französische Literatur gelesen und schreibt Gedanken zu den Büchern auf:
Bonjour tristesse – Francoise Sagan
Autor:
Françoise Sagan (1935 – 2004) Mit achtzehn Jahren schrieb sie in wenigen Wochen ihren ersten Roman: Bonjour tristesse wurde 1954 mit dem Grand Prix des Critiques ausgezeichnet.
Inhalt:
Mit großer Treffsicherheit beschreibt die Autorin in ihrem Roman die Befindlichkeiten ihrer jugendlichen Hauptfigur: Cécile ist ein launischer Teenager, scharfsinnig, egoistisch, manipulativ – und dazu verdammt, den Sommer mit ihrem eitlen Vater und seiner jungen, etwas einfältigen Geliebten Elsa in einem Haus an der Côte d’Azur zu verbringen. Zunächst jedoch gelingt es Cécile, die Erwachsenen gegeneinander auszuspielen und den Aufenthalt nach ihrem Geschmack zu gestalten: in herrlicher Leichtigkeit und Freizügigkeit. Bis plötzlich die kluge Anne auftaucht, eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter, und die sommerliche Idylle mit erzieherischer Strenge zu zerstören droht. Als der Vater Elsa verlässt und Anne heiraten will, schmiedet Cécile einen Plan – mit tragischen Konsequenzen.
Rezension:
Verständlich, dass Cecile nicht möchte, dass Anne ihren Vater heiratet, dann das ist Anne’s Plan. Mit Elsa kommt Cecile klar, ihr fühlt sie sich intellektuell überlegen, bei Anne sieht das anders aus. Eigentlich mag sie Anne, aber wenn Anne ihren Vater heiratet, dann bedeutet das, dass sich Ceciles Leben extrem verändert. Sie hat dann wieder die Rolle der Tochter und nicht einer gleichberechtigten Erwachsenen. Außerdem wäre das Leben mit Anne sicher nicht mehr so unbeschwert und leichtsinnig. Und so spinnt Cecile ihre Intrigen….. Der Schreibstil ist altfranzösisch und man kann davon ausgehen, dass die Autorin Parallelen zu ihrem eigenen Leben hergestellt hat und Cecile einige ihrer Eigenschaften „vererbt“ hat. Durch den leichten Stil lässt sich das Buch trotz vieler „altertümlicher“ Wörter gut lesen. Man fühlt das freie, ungebundene, exzentrische Leben und kann durchaus verstehen, das Cecile das nicht für ein vernünftiges, beschauliches Leben aufgeben will, auch wenn sie sich unbewusst vielleicht nach Geborgenheit und Sinnhaftigkeit sehnt. Die Charaktere des Buchs sind eindrucksvoll, vor allem Anne nimmt eine dominante Rolle auf Grund ihres vielschichtigen Charakters ein Es geht wie im Leben um Liebe, Treue, Untreue, Träume, Jugend und Intrigen. Tristesse – auch der Titel passt, eine gewisse Traurigkeit schwingt immer zwischen den Zeilen mit. Ein beeindruckendes Buch, dessen Atmosphäre den Leser in seinen Bann zieht.
Ein feiner Herr und ein armer Hund – Adriaan van Dis
Autor:
Adriaan van Dis, 1946 geboren, studierte in Amsterdam, bevor er Journalist und Moderator seiner eigenen Fernsehshow wurde. Er veröffentlichte Romane, Erzählungen und Drehbücher und erhielt einige renommierte Preise. Bei Hanser ...
Inhalr:
Er ist ein feiner Herr und trägt teure Schuhe, er ist ein Flaneur in den Straßen von Paris. Als eines Abends ein Hund aus einem brennenden Haus direkt in seine Arme springt, ist es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Der Hund, der mit Flüchtlingen aus Afrika nach Frankreich kam, führt Mulder zu den "Sans-Papiers" und Obdachlosen, er macht den Sauberkeitsfanatiker mit dem Geruch der Banlieue vertraut und lässt den einsamen Kunstliebhaber unerwartete Bekanntschaften schließen. Ein bewegender Roman über eine Welt, die unwiderruflich in zwei Hälften zerfällt.
Rezension:
Herr Mulder bricht im flusenfreien Dufflecoat zu seinem abendlichen Spaziergang auf, nicht wissend, was sich an diesem Tag für ihn alles verändern wird.
Er liebt guten Wein und Kunst und schätzt seine Rituale. Doch an diesem Abend nimmt er einen anderen Weg um zu sehen, was bei einem brennenden Haus passiert, in dem illegale Einwanderer leben – und dort springt ihm der Hund direkt in die rettenden Arme. Bei der Polizei gibt er einen falschen Namen an, weil er eigentlich nur seine Ruhe will. Aber plötzlich kennen ihn alle im Viertel unter seinem falschen Namen, er, der vom Hund ausgewählt wurde. Der Hund wird bei ihm bleiben, bis er zu seiner kleinen Besitzerin zurückkehren kann. Der Weltenstreuner begleitet ihn und durch ihn lernt er Menschen kennen, denen er so nie begegnet wäre. Nachbarn in seinem Viertel, von denen er bisher nie Notiz genommen hat. Er kümmert sich um Menschen, die Opfer des Brandes wurden. Er sieht hin, nimmt wahr, erkennt die unglaublichen Unterschiede, öffnet Augen und Ohren und sein Herz. Es ist keine rührselige Geschichte, sondern ein Gleichnis mit Leichtigkeit und Eleganz geschrieben. Es lässt uns an der Not und der Ungleichheit teilnehmen ohne anzuklagen. Es liefert kein Patentrezept. Ein Buch das berührt und über die Gegensätze und sozialen Probleme erzählt, das uns hinschauen lässt. Und selbst der Protagonist ist nicht immer nur gut und ändert sich total, sondern er bleibt er selbst, auch wenn er dazulernt durch eine ungewöhnliche Freundschaft zu einem Hund. Das Buch zeigt eine Welt mit allen Widersprüchen und Schönheit inmitten von Verzweiflung und Elend. Es hält uns den Spiegel vor ohne moralisch zu sein. Der Hund zeigt Mulder und uns die Rückseite des Lebens in Paris – das Leben der Illegalen wird sichtbar. Berührend, aufrüttelnd und hoch aktuell.
Das Ende von Eddy – Edouard Louis
Autor:
Édouard Louis ist 24 Jahre alt. Sein autobiographischer Debütroman ›Das Ende von Eddy‹, in dem er von seiner Kindheit und Flucht aus prekärsten Verhältnissen in einem französischen Dorf erzählte, sorgte 2015 für großes Aufsehen. Das Buch wurde zu einem internationalen Bestseller und machte Louis zum literarischen Shootingstar. Sein zweiter Roman ›Im Herzen der Gewalt‹ erscheint in über 20 Sprachen und wird verfilmt. Édouard Louis lebt in Paris.
Inhalt:
Ein Befreiungsschlag, ein Aufbruch in ein neues Leben – mit unglaublicher Sprachgewalt erzählt der junge französische Autor Édouard Louis die Geschichte einer geglückten Flucht aus einer unerträglichen Kindheit: inspiriert von seiner eigenen. ›Das Ende von Eddy‹ ist sein Debütroman, der zu einem großen Erfolg und einer der meistdiskutierten Veröffentlichungen des Jahres wurde.
Rezension:
Schon früh war klar, Eddy ist anders. Er bewegt sich anders, er gestikuliert anders, er trägt gern Mädchenkleider. Die Folgen sind erschreckend. Seine Eltern fordern ihn ständig auf das tuntige Getue zu lassen, sein Bruder will ihn totschlagen, seine Mitschüler misshandeln ihn. Ein schwuler Junge, der das Pech hat in einer französischen Provinz aufzuwachsen, wo Homophobie zum guten Ton gehört. Eine Heimat, in der er nur eine Chance hat, wenn er so ist wie alle anderen. In einer dörflichen Welt voll Gewalt und sozialer Not ist Schwulsein keine Option. Er versucht es, er küsst ein Mädchen auf dem Schulhof um zu zeigen, dass er normal ist. Denn die Geschlechterrollen sind hier klar verteilt. Echte Kerle sind hart im Nehmen, prügeln sich und baggern Frauen an. Sie sind nicht intellektuell, sondern landen in der Fabrik. Die Frauen werden Verkäuferinnen, Friseurinnen und bekommen möglichst früh viele Kinder. Wer diesem Bild nicht entspricht, ist lesbisch, frigide oder eben schwul. Eddy flieht schließlich, verlässt das Dorf, geht auf ein Internat.
Ein autobiografisches Debüt. Der Autor selbst sagt, dass er einige Fassungen brauchte um die richtige Tonart zu finden. Alltagssprache gegen Hochsprache. An die Cuts muss man sich als Leser erst gewöhnen. Aber dadurch lebt das Buch. Es erzählt unverblümt die Geschichte Eddys von einer scheinbar ausweglosen Kindheit, in der Anderssein keine Option ist. Besser krank als schwul, besser arbeitslos oder Alkoholiker. Ein Buch voller Einblicke aber ohne Selbstmitleid. Ein Portrait der Provinz, in deren Rollen jeder gefangen ist, der es nicht schafft die Flucht anzutreten.
Kant und das kleine rote Kleid – Lamia Berrada-Berca
Autor:
Das Motto Lamia Berrada-Bercas, der Tochter eines Marokkaners und einer Französin mit schottisch-afrikanischen Wurzeln, stammt von Cioran: »Wir wohnen nicht in einem Land, sondern in einer Sprache.« In ihren preisgekrönten Romanen erkundet sie neben den Gefühlswelten ihrer Figuren auch die Herausforderungen, die sich uns durch die Emanzipation und unsere Freiheit als Individuum stellen. Lamia Berrada-Berca setzt sich zudem seit Jahren mit großem Elan für Frauenrechte ein.
Inhalt:
In der Hoffnung auf ein besseres Leben verlässt eine junge Frau ihr Land und folgt ihrem Mann nach Paris. Aber ihre Träume erfüllen sich nicht in dieser glitzernden Stadt: Noch immer trägt sie eine Burka, ihr Mann bestimmt über sie, und sie ist einsam. Doch eines Tages entdeckt sie in einem Schaufenster ein bezauberndes rotes Kleid. Immer wieder geht sie daran vorbei, beseelt von dem Wunsch, es einmal zu tragen und sich frei zu fühlen. Wenig später fällt ihr ein Buch von Kant in die Hände. Sie versteckt es vor ihrem Mann und beginnt gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter, heimlich darin zu lesen. Allmählich spürt sie, wie nicht nur das Kleid, sondern auch Kants Worte in ihr eine leise Sehnsucht wecken – den Schleier zu lüften, der sie vom Leben trennt, und endlich den Horizont zu berühren, von dem sie bislang nur geträumt hat…
Rezension:
Ein Kleid, das Sehnsucht weckt und Träume wachruft. Die Protagonistin lässt ihre Gedanken schweifen und man erfährt so einiges über sie. Sie trägt normalerweise schwarze lange Kleider, einen Schleier, der sie verdeckt. Man erfährt über ihre Erziehung, warum sie weder schreiben noch lesen lernte. Die Sprache fast schon poetisch. Die Gefühle, Gedanken, die Einsamkeit real. Sie erlaubt sich lediglich zu träumen, von diesem kleinen roten Kleid. Und nach und nach eröffnet sich dem Leser ihre Welt, ihr Leben. Und dann kommt Kant…. Ein Buch über Frauen, Freiheit, Träume, Mut und Kant und wie Wünsche ein Leben verändern können. Poetisch, nachdenklich, anspruchsvoll und wunderschön – absolut lesenswert.
Liebe mit zwei Unbekannten – Antoine Laurain
Autor:
Antoine Laurain, 1970 geboren, hat bereits 5 Romane geschrieben. Für „Le Chapeau de Mitterand" ist er mit dem Prix Landereneau und dem Prix Relay des voyageurs ausgezeichnet worden.
Inhalt:
Eine charmante und ungewöhnliche Liebesgeschichte mit viel Pariser Charme und ein Bestseller in Frankreich und Deutschland!
Als der Pariser Buchhändler Laurent eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit eine elegante Damen-Handtasche liegen sieht, schaut er nur hinein, um die Tasche zurückgeben zu können. Er findet allerdings nur einen Vornamen als Widmung in einem Buch: Laure. So beginnt Laurents Spurensuche quer durch Paris, denn Laure hat in ihrer Tasche auch ein kleines Notizbuch, in dem sie ihre geheimsten Gedanken notiert. Und je mehr Laurent über Laure erfährt, desto sicherer weiß er: Er muss diese Frau kennenlernen. Doch darf er einfach so in ihr Leben eindringen?
Rezension:
Stell dir vor ein Fremder weiß alles – oder sehr viel – von dir, aber du kennst ihn nicht und er dich auch nicht. Er war in deiner Wohnung, er hat deine Katze gefüttert, er hat deine intimsten Gedanken gelesen. Das alles passiert Laure. Ihr wird die Handtasche gestohlen, sie fällt ins Koma und als sie wieder aufwacht, gibt es da einen Buchhändler, der mehr über sie weiß als manch einer der sie kennt – er hat nämlich ihre Handtasche gefunden und versucht sie zu finden. Sie möchte ihn kennenlernen, weiß aber nicht wo er zu finden ist. Eine Liebesgeschichte und doch etwas mehr als das. Zwei Menschen, die sich unter normalen Umständen nicht beachtet hätten finden sich hier. Eine ganz und gar spezielle Ausgangslage, ein ganz und gar spezieller Protagonist und eine ganz und gar spezielle Handlung. Jemandem anhand des Inhalts seiner Handtasche nahe zu kommen – nicht alltäglich. Sich in jemandens Leben zu mischen ohne ihn zu kennen – auch nicht alltäglich. Der Autor geht hier Gefühlen auf den Grund, er spielt mit den Figuren, ihren Träumen, Ängsten und geheimsten Gedanken. Eine wunderbar feinfühlige und liebevoll erzählte Geschichte, die beim Lesen Bilder entstehen lässt. Paris als Kulisse absolut passend und wunderschön. Tolle Charaktere, wundervolle Schauplätze und letztlich eine lesenswerter Roman. Ein Autor, an dem man nicht vorbeigehen sollte.
Unsere LiteraTour ging schnell vorbei. Inspiration und noch viele andere französische Bücher finden Sie aber immer noch auf unserem LiteraTour-Blog.